Tell Trail Etappe von Stans nach Engelberg – Nervenkitzel inklusive
War ja klar: Die einzige Person, die wir auf der gesamten Wanderung vom Stanserhorn nach Engelberg treffen, kommt uns genau an der schmalsten Stelle des Arvigrats entgegen. Ein älterer Herr aus der Gegend, der die Tour regelmässig geht – in aller Ruhe bleibt er stehen und plaudert im krassesten Innerschweizer Dialekt mit unserem Guide. Wir anderen Wanderer tippeln nervös von einem Bein aufs andere und versuchen uns vorzustellen, wie wir aneinander vorbeikommen ohne rechts oder links in die Tiefe zu fallen. Diese Minuten, ein paar Stunden nach Beginn der Tour, sollen nicht die einzigen Herzklopfmomente bleiben. Aber dazu später mehr.
Den einzigen Wanderer, der uns auf der Zweitagestour entgegenkam, treffen wir natürlich an der engsten Stelle auf dem Arvigrat.
Auf den Spuren des Schweizer Nationalhelden Wilhelm Tell
Es gibt einige tolle Fernwanderrouten in der Schweiz – eine der beeindruckendsten mit atemberaubenden Ausblicken ist sicher der von Luzern Tourismus erst 2020 geschaffene «Tell-Trail» durch die malerische Zentralschweiz. In acht Etappen – die alle auch als einzeln Tages- oder Zweitagesausflug gewandert werden können – führt er über 156 Wanderkilometer und 7126 Höhenmeter von Altdorf bis aufs Brienzer Rothorn. Mit Blick auf die unglaublichen Farben von elf Bergseen wandert man quasi auf den Spuren des berühmten Schweizer Nationalhelden Wilhelm Tell durch historische Ortschaften und über die «Big 6» der Zentralschweizer Gipfel (Stoos, Rigi, Pilatus, Stanserhorn, Titlis und Brienzer Rothorn).
Hier kann man sich schon mal fühlen wie Wilhelm Tell.
Die Königsetappe des Tell Trail: von Stans nach Engelberg
Nebenbei beinhaltet der Fernwanderweg auch noch Fahrten mit einigen der spektakulärsten Bahnen der Schweiz: die steilste Zahnradbahn der Welt, die älteste Bergbahn Europas oder die weltweit erste drehbare Luftseilbahn. Wir haben uns die Königsetappe der Route ausgesucht, Etappe 5 des Tell Trail von Stans nach Engelberg, und starten direkt mit einem weiteren Bahnhighlight und Herzklopfmoment: Nach einem kurzen Stück in der historischen Standseilbahn von 1893 schweben wir bei strahlendem Sonnenschein in der «CabriO-Bahn» wie auf einer offenen Aussichtsplattform aufs Stanserhorn. Mit Blick auf 100 Kilometer Alpenkette bis auf 1900 Meter «über dem Alltag» wie es auf der Website der Bahn heisst.
Oben ohne – die CabriO-Bahn aufs Stanserhorn
26 km nach Engelberg
Hier schnüren wir die Schuhe enger, schnappen die Wanderstöcke und kehren Pilatus und Vierwaldstättersee den Rücken zu. Los geht’s, die 26 km über den Storeggpass vorbei am Lutersee, über Bocki und Untertrübsee nach Engelberg sind anspruchsvoll – wir haben uns daher entschieden, sie in zwei Tagen zu absolvieren und wollen abends auf der Alp Laucheren im vorbereiteten Zelt übernachten.
Unser Ziel für die Nacht: Das Tentcamp auf der Alp Laucheren – ideal für müde Wanderer
Zunächst geht es noch easy bergab zum Ächerlipass, aber schon der erste Aufstieg über teils wurzelige und steile Passagen zum Arvigrat auf 2000 m ü. M. hat es in sich. Nach rund zwei Stunden stehen wir oben, auf der Grenze zwischen Obwalden und Nidwalden, und werden mit grossartigem Bergpanorama belohnt. Auf dem Grat geht es nun weiter. Wäre er nicht so schmal, könnte man die Augen nicht abwenden vom Blick zum Ziel ins Engelbergertal, vom Walenstock über den Titlis bis zu Schreckhorn und Eiger, sogar bis in den Jura und die Waadtländer Alpen. Aber da ist nun mal dieser superschmale, ausgesetzte Weg, rechts und links davon die steilen Abhänge und dann noch der einzige entgegenkommende Wanderer. Zum Glück schweift der Weg irgendwann schliesslich vom Bergkamm weg. Ein letzter Abschnitt über Geröll, bevor wir auf der Alp Laucheren eintreffen.
Tagesetappe fast geschafft: Blick zurück kurz vor der Alp Laucheren über das letzte Stück des Wegs.
Die Alp Laucheren wird von Agnes und Melk Niederberger in der 4. Generation betrieben und ihre Gastfreundschaft ist legendär. Wir werden super freundlich begrüsst und besprechen gleich die Wetterlage. Ein Gewitter soll den heissen Tag beenden und Agnes und Melk raten uns dringend von der geplanten Übernachtung im Zelt ab. Ich liebe es, im Zelt zu schlafen und bin enttäuscht – nur so lange jedoch, bis ich bereits vor dem feinen «Znacht», dem Abendessen mit Älplermagronen, den Wolkenbruch mit Blitz und Donner höre. Wie wohlig fühlt es sich da im heimeligen Massenlager im 1. Stock der Hütte an!
Sieht nicht gerade nach Zeltwetter aus… in den Alpen schlägt das Wetter schnell um.
Viel Zeit zum Schlafen haben wir eh nicht. Wir wollen zeitig wieder raus, um am frühen Morgen vielleicht Gämsen zu entdecken – ausserdem wartet das Highlight der Wanderung auf uns, ein weiterer Herzklopfmoment… Schon vor 5 Uhr weckt uns unser Guide.
Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt – Gämsen hinter der Alp Laucheren auf dem Tell Trail. Auch wir kraxeln wie die Gämsen, auf dem Weg zur Wagenleis.
Lamas auf dem Schluchberg
Unser Frühstart wird belohnt! Beim steilen Aufstieg auf den Schluchberg erblicken wir oben in den Felsen junge Gämsböcke… und zwei Lamas… what??? Ja, tatsächlich. «Lamas sind ein super Herdenschutz für Schafe, weil der Wolf mehr Respekt vor ihnen hat», hatte uns Melk am Abend erklärt. 120 Schafe, zwei Lamas, ca. 50 Mutterkühe mit ihren Kälbern und ein Stier grasen im Sommer auf den meist steilen, aber üppig bewachsenen Berghängen. 8 Hühner sorgen für feine Eier, ein Hahn fungiert als Wecker, und der Wachhund darf trotz Lamas natürlich auch nicht fehlen.
120 Schafe geniessen die Aussicht von der Alp Laucheren. Den Titlis immer im Blick – ob die Schafe das Panorama wohl genauso zu schätzen wissen wie wir?
Bald erreicht: die Felspassage Wagenleis
Wir kraxeln weiter und erreichen pünktlich zum Sonnenaufgang die Schlüsselstelle der Tour: Die Felspassage Wagenleis, bei der wir uns an dicken Seilen und über Eisentritte um Felsvorsprünge herumhangeln. Adrenalinschübe und Herzklopfen sind hier garantiert. «Was machst Du, wenn ein Gruppenmitglied hier nicht mehr weiterkommt?» frage ich unseren Bergführer. «Das gibt es nicht», antwortet dieser trocken. «Wer es über den Arvigrat bis hierhergeschafft hat, kommt auch über den Wagenleis» ergänzt er. Na, dann!
Wer’s bis hierhin schafft, der kommt auch über die Felskante am Wagenleis.
Vom Schluchigrat geht’s zum Storeggpas
Beflügelt nach unserer heroischen Wagenleis-Überquerung wandern wir weiter über den Schluchigrat zum Storeggpass. Nach dem Lutersee wartet noch ein letzter steiler Aufstieg zum Bocki auf uns, bevor wir den höchsten Punkt der Wanderung (2155 m ü. M.) erreichen.
Endlich keine Steigung mehr: Friedliche Morgenstimmung vor dem Abstieg nach Engelberg. Fast geschafft – endlich ist Engelberg Dorf in Sicht mit Spannort und Titlis hoch darüber.
Ab jetzt geht es nur noch abwärts, allerdings ist der Pfad steil und vom Gewitter der Nacht extrem rutschig. Noch einmal ist Konzentration gefragt, bevor der Weg ab der Haltenhütte asphaltiert und flacher ist. In der Alpkäserei Untertrübsee decken wir uns mit feinem Käse ein und stärken uns und erreichen am frühen Nachmittag das Dorf Engelberg. Hier ist nun endgültig relaxen in einem der schönen Engelberger Hotels angesagt. Vom stylishen Bellevue-Terminus Urban Lifestyle Hotel über die Ski Lodge Engelberg mit Schweden-Feeling bis zum 5-Stern-Kempinski Palace Engelberg ist die Auswahl gross. Die grösste Frage aber ist: Ein paar Tage bleiben oder weiterziehen – jetzt, wo wir uns gerade auf dem Tell Trail eingelaufen haben? Sind ja nur noch wenige Etappen bis zum Brienzer Rothorn…
Information Etappe 5 des Tell Trail: Stanserhorn bis Engelberg
Start der Tour: | Talstation Stanserhorn-Bahn |
Ende der Tour: | im Dorf Engelberg |
Schwierigkeit: | Schwer |
Kondition: | 6/6 |
Länge: | 26 km |
Wanderzeit: | 10-11 Stunden bzw. zwei Tagesetappen |
Aufstieg: | 1501 m |
Abstieg: | 2375 m |
Beste Jahreszeit: | Juni, Juli, August, September, Oktober |
Sicherheitshinweise: | T3 anspruchsvolles Bergwandern (gute Trittsicherheit, durchschnittliches Orientierungsvermögen, elementare alpine Erfahrung). Die Schlüsselstelle Schluchberg/Wagenleis ist mit dicken Seilen gesichert. |
Ausrüstung: | Gute Wanderschuhe |
Tipp Gratwanderung-Package inkl. Übernachtung und Gepäcktransport: | Teilt die Tour in zwei Etappen und übernachtet je nach Wetter im Zelt (oder Massenlager) auf der Alp Laucheren – es lohnt sich. Das Package inkl. Bahnfahrt aufs Stanserhorn, Abendessen, Übernachtung und Frühstück auf der Alp Laucheren sowie in einem Hotel in Engelberg und Gepäcktransport von Stans nach Engelberg kann bei Engelberg Titlis Tourismus gebucht werden: https://www.engelberg.ch/packages-deals/aktuelle-pauschalen |
Parken: | Im Dorf Stans stehen verschiedene Parkmöglichkeiten zur Verfügung. Bei der Talstation der Stanserhornbahn gibt es ebenfalls Parkplätze. |
Anreise/Rückreise: | Am besten mit der SBB. Nationale und internationale Verbindungen (ab Zürich Flughafen Verbindungen im Halbstundentakt mit ca. 1h Fahrzeit) bis Luzern. Von Luzern geht es mit der Zentralbahn nach Stans. Die Talstation der Stanserhorn-Bahn befindet sich nur fünf Gehminuten neben dem Bahnhof. Mit dem Auto fahren Sie auf der A2 (Basel-Gotthard) bis Stans Nord. |
Interaktive Karte: | Eine tolle Karte mit Höhenmetern gibt es hier: https://www.outdooractive.com/de/route/wanderung/schweiz/tell-trail-etappe-5-stans-engelberg/54681504/#dm=1 |
Information Tell Trail
Tell Trail | Der Fernwanderweg Tell-Trail verläuft durch die ganze Zentralschweiz: 8 Tagesetappen 156 Wanderkilometer 7126 Höhenmeter 6 Berge 11 Seen Start ist in Altdorf beim Tell-Denkmal. In einem weiten Bogen und entlang plätschernder Flüsse geht es via Muotathal und Stoos hoch zum Fronalpstock. Danach stehen die Rigi, der Pilatus und das Stanserhorn auf dem Programm, bevor man über Engelberg und der Melchsee-Frutt das Brienzer Rothorn erreicht. Mehr Infos: www.luzern.com/telltrail |
Etappenwanderungen | Die einzelnen Etappen eigenen sich auch als Tages- oder Zweitagesausflug und können mit Bergbahnen und ÖV. abgekürzt werden. Der Tell-Pass ist das passende Ticket dazu: https://www.tellpass.ch/ |
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