Tschernobyl – Impressionen aus Wasteland
Als 1986 Reaktor 4 im damals noch russischen Tschernobyl explodierte, schleuderte er eine radioaktive Wolke über Nordwesteuropa und den Begriff Super-GAU in den aktiven Wortschatz einer ganzen Generation. Grösster anzunehmender Unfall. Was sehr hypothetisch klang, war plötzlich Realität. Wir assen kein Gemüse und keine Pilze aus der gefährdeten Region mehr, demonstrierten gegen Atomkraft, stoppten Züge mit atomarem Endmüll…. Doch dann geriet auch Tschernobyl mehr und mehr in Vergessenheit.
28 Jahre danach hatte mein Mann Tomi bei einer Studienreise in die Ukraine im letzten November Gelegenheit, sich ein Bild vom Reaktor und der Region zu machen und brachte bewegende Bilder und Eindrücke mit. Ein Interview.
Travelistas: Kann man einfach so nach Tschernobyl reisen?
Tomi: Nein, die Region ist in einem Umkreis von 30km hermetisch abgeriegelt und man kann da nicht einfach reinspazieren. Alle Daten müssen vorher an die Behörden gemeldet werden und an verschiedenen Checkpoints wird alles kontrolliert. Für uns hatte die ukrainische Agentur von TUI FlexTravel in Kiev eine Exkursion organisiert.
Travelistas: Gibt es geführte Touristentouren vor Ort?
Tomi: Nein, auch nicht. Wir hatten eine Reiseführerin, die aus Kiev mitkam, eine Hardcore-Tschernobyl-Kennerin, die perfekt Englisch sprach.
Travelistas: Was war Dein erster Eindruck?
Tomi: Dass sich die Natur das menschenleere Gelände komplett zurück erobert: Links und rechts siehst Du nur eine Art Bannwald, Dörfer und Bauernhäuser, alles ist verwildert, Przewalskipferde laufen frei herum…
Travelistas: Seid Ihr ausgestiegen?
Tomi: Ja, in einer der Trabantenstädte um das Atomkraftwerk herum, in der damals die Arbeiter und ihre Familien untergebracht waren, meistens junge Familien mit Kindern. Riesige Wohnsilos für Tausende von Arbeitern, Schulen, das Spital – alles fällt langsam zusammen und wird von der Natur überwuchert.
Travelistas: Sieht man denn noch Menschen?
Tomi: Dort nicht, die Leute wurden ja nach und nach aus der Zone evakuiert und konnten eben nur noch kurz zurück, um einige Sachen rauszuholen. Es leben nur noch wenige Menschen in der Zone selbst, die sich standhaft geweigert hatten, zu gehen oder wieder zurückgekehrt sind. Aber das Verrückte ist, dass auch heute noch 4000 Menschen vor Ort arbeiten!
Travelistas: Was? 4000 Leute vor Ort? Was machen die denn?
Tomi: Der Reaktor, der explodierte, wird mit einer riesigen Schutzhülle bedeckt und dann soll er abgebaut werden. Das zieht sich nun allerdings schon so lange hin, dass man sich fragt, ob sie jemals damit fertig werden. Das Ganze wird natürlich entsprechend verwaltet und die notwendige Infrastruktur für die Leute vor Ort aufrecht gehalten. Die Arbeiter werden jeden Tag aus einer Siedlung in ca. 50 Kilometer Entfernung hergebracht. Nach einer Woche Einsatz haben sie jeweils etwa zwei Wochen frei. Sie werden vor Ort verpflegt und haben ein sicheres Einkommen. So gesehen profitieren diese Arbeiter von der Situation – sicher mit ein Grund dafür, dass es so schleppend vorangeht.
Travelistas: Hattet Ihr Schutzanzüge an?
Tomi: Nein, wir mussten keine anziehen. Beim Auschecken wurden wir mit einem Geigerzähler auf Radioaktivität getestet. Das Erstaunliche: wenn Du Dich zwei, drei Stunden vor Ort aufhältst, hast Du weniger Radioaktivität als nach einem siebenstündigen Flug.
Info:
Tomi Biedermann ist Mitinhaber des Zürcher Reisebüros b&b travel und war als solcher im November 2013 auf Studienreise mit TUI FlexTravel in der Ukraine.