Die vier Gesichter der Bedford Avenue
New York ist immer mehr Brooklyn, Brooklyn momentan Williamsburg und Williamsburg vor allem die Bedford Avenue. Wagt man einen Blick „hinter“ die Williamsburg-Brücke, zeigt die Strasse allerdings völlig andere Gesichter.
„Zu Fuss? Du bist zu Fuss hierhergekommen?“ US-Amerikaner reagieren oft ungläubig, wenn man ihnen erzählt, dass man eine Strecke von mehr als zehn Blocks zu Fuss zurückgelegt hat. Wenn ich wenigstens (mitten im Grossstadtdschungel) gejoggt wäre, das würden sie ja noch verstehen. Aber einfach auf zwei Beinen in Gebiete vordringen, die man noch nicht kennt… das geht gaaaar nicht!
Nachdem ich die Avenues in Manhatten hinter mich gebracht habe, wage ich mich trotzdem an eine besondere Herausforderung in Brooklyn: der Bedford Avenue – Hauptschlagader des Trendviertels Williamsburg. Mein Spaziergang beginnt unterhalb des Prospect Parks, nur unweit des Brooklyn Museums. Also weit weg vom eigentlichen Ende der Strasse – in der Nähe von Coney Island. Der Ausflug wird mich in knapp 1,5 Stunden durch vier völlig unterschiedliche Welten führen.
Gentrifizierung in Brooklyn
Die Mietpreise rund um den Prospect Park, vor allem im historischen Park Slope, sind in den letzten Monaten und Jahren rasant gestiegen. Nur von einem Brownstone-Haus zu träumen ist ruinös. Auch in Prospect Hights sind die teuren Folgen der Gentrifizierung langsam aber sicher spürbar. Für 1000 Franken pro Monat gibt es heute bereits nur noch winzige vergammelte Studios ohne Tageslicht. Die Gegend wird immer hipper – innert weniger Monaten entstehen hier zahlreiche neue Restaurants und Shops.
Kapuzen
Nach wenigen Gehminuten ist man mitten im traditionellen kulturellen Zentrum der Afroamerikaner. Die Quartiere Bedford-Stuyvesant und Crown Heights wurden früher vor allem von Juden und Italienern bewohnt, heute sind sie (noch) fest in der Hand von Afroamerikanern und einigen Hispanics. In der Schweiz würde ich mich vor all den Gestalten in ihren Kapuzenpullovern wohl in Sicherheit bringen, hier erwidere ich stattdessen freundlich die Grussworte.
Während der Westen und Süden von Brooklyn bis heute hauptsächlich von Weissen bewohnt ist, fand im Osten und Norden durch die Zuwanderung von Afroamerikanern und später auch Hispanics ein nahezu vollständiger Austausch der Wohnbevölkerung statt. Der Austausch, bzw. mittlerweile der Rücktausch, ist noch längst nicht abgeschlossen.
Zopf und Bart auf der Bedford Avenue
Ein paar Minuten später falle ich mit meinem Kapuzenpulli (ideal für die New Yorker Kombination aus Wind und Regen) plötzlich auf. Ich bin jetzt offenbar der einzige nicht-orthodoxe-Jude weit und breit. Geschäfte und Schulen sind auf Hebräisch angeschrieben. Mann trägt Hut, Bart und Zöpfe; Frau trägt Röcke und blickdichte Strümpfe. Wären da nicht die üblichen Brownstone-Häuser, würde man wirklich denken, dass man in Israel gelandet ist (in den USA leben allerdings mehr Juden als in Israel…).
Während die Mode nicht als massentauglich befunden wurde, haben die New Yorker übrigens einige Spezialitäten der jüdischen Küche übernommen. Beispielsweise Bagel und Lox (geräucherter Lachs) sowie Corned-Beef und Pastrami. Zunächst wurden diese Lebensmittel als Teil der New Yorker Kultur integriert und dann in ganz Amerika verbreitet. Auch der „Deli“ (einst eine Kombination aus koscherem Lebensmittelgeschäft und Schnellimbiss), ist aus amerikanischen Grossstädten nicht mehr wegzudenken.
Hip Hipster Hurra in Williamsburg
Rund eine halbe Stunde später erreiche ich die Williamsburg-Brücke, die Brooklyn mit Manhatten verbindet. Hier wechselt das „Personal“ auf der Strasse noch einmal komplett. Plötzlich bin ich Mitten im Treiben auf der Bedford Avenue, das mittlerweile fast jeder New-York-Besucher kennt und in zig Reiseberichten über New York beschrieben wurde. Künstler, Musiker, Gourmets, Hipster, Blogger – alle schwärmen sie vom In-Quartier Williamsburg. Gerade bei schönem Wetter wird klar, wieso gerade jüngere New-York-Besucher nicht genug kriegen können von diesem Ort. Hier läuft ständig was und es gibt immer etwas zu sehen. Ich lasse mich vom bunten Treiben anstecken und beende meinen Spaziergang.
Im New Yorker Stadtteil Brooklyn leben über 2,5 Millionen Einwohner. Darunter 53‘200 Deutsche, 5900 Österreicher und 2500 Schweizer.
Hier finden Sie die Williamsburg-Tipps des New Yorker Time-Out-Magazins. Hier alles Wissenswerte über Brooklyn.
4 responses to Die vier Gesichter der Bedford Avenue
Toller Text! Da muss ich unbedingt hin! 🙂