(Züricher) Missverständnisse südlich des Weisswurstäquators
Ob auf Land- oder Luftwegen: Ich liebe Reisen und fremde Kulturen. Mein mehrjähriger, prägender Aufenthalt im Grossstadtdschungel New Yorks bildete wohl den Höhepunkt meiner Reisezeit. Umso mehr, als dass ich von dort aus spannende Trips ins Umland unternehmen konnte. Dabei stetig auf der Suche nach neuen Inspirationen, interessanten Charakteren und kulinarischen Besonderheiten.
Nach dieser aufregenden Zeit habe ich mich als deutsches Nordlicht entschieden, meine Reise in die Schweiz fortzusetzen – mit der festen Absicht, in Zürich sesshaft zu werden. Kleinste Metropole der Welt, ich komme … – der Kulturschock war vorprogrammiert! Doch „wie ticken die Schweizer?“. Da bin ich bestimmt nicht die erste Zuzüglerin, die sich dieser Frage stellt. Bestes Timing hierfür: drei Tage vor meiner Einreise wurde im Volksentscheid für die Charme-Offensive „gegen Masseneinwanderung“ entschieden. Zwar nur sehr knapp, aber verunsichernd und abschreckend wirkte es schon.
Das Zurechtfinden und die feinen Unterschiede zwischen Deutsch und Schwiizerdütsch (oder Schwyzerdütsch, Schweizerdeutsch oder doch Schwitzerdütsch?) zu lernen, fällt oft schwer. Die kulturelle Integration läuft definitiv nicht nur über die Sprache sondern vielmehr über die indirekte Kommunikation. Gerade hier in der Schweiz. Zu wissen, wann darf ich die Wäsche meines Nachbarn aus der Waschmaschine nehmen, ohne dass sich dieser am nächsten Tag mit einem schriftlichen Aushang öffentlich beschwert (das Teilen einer Waschmaschine im Mietshaus mit striktem Waschplan stösst auf allgemeines Unverständnis). Fragen über Fragen, doch was tun?!
Der Retter in der Not
Wie es der Zufall so wollte, wurde mir von meinem neuem Team die Möglichkeit zu teil, ein Cross Culture Training zu absolvieren. Die Vermittlung von interkulturellen Kompetenzen, in der all meine Fragen, Bedürfnisse und Unsicherheiten auf fruchtbaren Boden fallen würden. Meine Arbeitskollegen schienen wohl zu ahnen, dass ich sprachlicher und kultureller Nachhilfe bestimmt nicht abgeneigt wäre. Im Vorfeld tat mir jedoch mein zukünftiger Trainer Leid: ein umfangreicher Fragenkatalog gepaart mit extrem ausgeprägter Neugierde. Zum Glück traf ich hier auf einen äusserst geduldigen und verständnisvollen Lehrer: Marcel Rüfenacht, Geschäftsführer von linguacoach. linguacoach liegt zentral beim Zürcher HB und bietet unter anderem Cross Culture Trainings wie „Working effectively with Swiss oder Doing Business in China“ an – für Einzelpersonen, wie mich oder Unternehmen buchbar.
Dank der privaten Verbandelung von Marcel Rüfenacht mit einer Hamburgerin wusste dieser genau, welche Informationen für mich als Norddeutsche in der Schweiz den grössten Mehrwert erzielen könnten. Es war ihm nicht fremd, mich des Öfteren auch darauf hinzuweisen, während des Sprechens auch mal wieder Luft zu holen oder gar einen Punkt hinter den Satz zu setzen. Binnen drei Einzelunterrichtseinheiten, à zwei Stunden (die immer überzogen wurden, woran das wohl liegen mag?!) sind mir die Gepflogenheiten, Dos und Donts sowie die Unterschiede der Stereotypen Deutsche vs. Schweizer näher gebracht worden. Vieles an der Schweizer Mentalität ist für Zugezogene, wie mich, auf den ersten Blick noch unverständlich. Die Zurückhaltung, Anonymität, Qualitätsdenken und die Genauigkeit. Vielmehr muss ich mich daran gewöhnen, dass die Schweizer nicht gleich immer alles auf den Punkt bringen, sondern sich gerne manchmal um sich selbst drehen und ihre Zeit dabei brauchen. Sie sind ein sehr liebenswertes Volk, die aber gerne die ein oder andere Eigenart ausleben und geniessen.
DAS No Go überhaupt
Der Unterricht verging wie im Fluge, jedoch bin ich leider schon vor Beginn meines Trainings in die ersten Fettnäpfchen getreten. Das No Go überhaupt: Alle Inlaut-Is in Zür-i-ch vermeiden! Bloss niemals vom Züricher See oder Züricher Geschnetzeltem sprechen. Das wird mit vielsagendem Schweigen bestraft. Hätte ich das mal als wichtige Zusatzinformation auf den Anmeldeformularen im Kreisamt lesen können! Ein Wörterbuch für die Schweizer Sprache gibt es auch und gehört definitiv zur notwendigen Grundausstattung jedes Zugezogenen. Ein Freund des Konjunktivs sind die Schweizer ebenfalls, Befehlstöne hingegen kommen seltener vor und oftmals fällt ihnen gar nicht auf, dass sie teilweise indirekt kommunizieren. Ob das eben Ausgesprochene seinem Gegenüber jetzt eher positiv oder negativ ausgerichtet war, ist für Laien teilweise unmöglich zu erkennen und lässt viel Raum für Interpretationen.
Erheiternde Missverständnisse vorprogrammiert
Es muss einem auch erst einmal jemand sagen, dass selbst die Schwiizerdütsch Aussprache von nur einzelnen Worten in einem Satz, sei es das Bü-r-li, mit einem milden und gelinden Lächeln bestraft wird, wenn sich die eigene Herkunft nördlich vom Weisswurstäquators befindet. Dass das Auto oder der „Töff“ zur Reparatur in die „Garage“ gebracht wird, die „Chinder“ gerade Mittagsschlaf halten oder man Suppe in der „Pfanne“ kocht und wie herrlich es „schmöckt“, obwohl man noch nicht mal ansatzweise probiert hat, sind Dinge die „tönen“ gut, aber erst einmal gewusst werden müssen. Wenn Schweizer „laufen“, dann gehen sie, wenn sie „springen“ dann laufen sie und wenn sie springen dann „gumpen“ sie. Solche Informationen sind notwendig um sich im täglichen Leben mit Bravour beweisen zu können. Naja jedenfalls um dem Inhalt meines Umfelds folgen zu können wenn sie „posten“ gehen und fragen, ob sie mir was mitbringen können, bin ich gedanklich bei Social-Media-Plattformen, aber nicht beim Einkaufen. Jedoch das Grüssen auf Schwiizerdütsch ist unerlässlich, da ein weiterer Fauxpas ein Hallo oder Tschüss wäre. Dieses Privileg wird nur Freunden vorbehalten oder Personen mit denen man sich duzt.
Mit der Hilfe meiner überaus aufmerksamen und engagierten Arbeitskollegen, die mich mit genügend Nährstoffen an literarischen Gebrauchsanweisungen beliefert haben, sowie einem speziellen Arbeitskollegen sei Dank, der versucht mit mir ausschliesslich Schwiizerdütsch zu sprechen, bin ich nebst des Cross Culture Trainings und einer gehörigen Portion Motivation bestens gerüstet mich in der Schweizer Welt zu integrieren.
One response to (Züricher) Missverständnisse südlich des Weisswurstäquators
Dieser Bericht zaubert mir, einer Schweizerin, ein Lächeln ins Gesicht. Hoffe, du fühlst dich jeden Tag ein Stückchen wohler! Und du kannst dich trösten, die Faux Pas gibt es bereits kantonsübergreifend und sind nicht „nur“ den Ausländern vorbehalten, so als kleiner Trost 🙂