Tipps für die kleine Metropole Marburg

Tipps für die kleine Metropole Marburg

Marburg: Universitätsstadt. 80.000 Einwohner. Gut per Zug erreichbar. Im Herzen Hessens. Eine knappe Stunde von Frankfurt. Eine gemütliche Stadt: Viel altes Fachwerk, viel mitteldeutsche Geschichte. Eine quirlige Stadt: Viel Wissenschaft, Studis, alternative Szene.

Der Schlossberg hat sich im Zentrum Marburgs breitgemacht, was der Stadt eine ungewöhnliche Topographie gibt. Alles auf dem Berg nennt der Marburger und die Marburgerin: Oberstadt.

Hier sind die hippen Cafés und guten Restaurants, die legendären Kneipen und historischen Bauwerke. Das kulturelle und junge Leben dreht sich um diesen Berg und das Schloss auf seiner Spitze. Dann gibt es noch den Rest Marburgs, die Unterstadt. Auch hier gibt es einige schöne Fleckchen, das Stadtbild ist aber weitläufiger und unscheinbarer.

Haus mit Fachwerk

Dieses für Metropolenverhältnisse kleine Kaff hat einiges an Geschichten in petto. Zwischen 1802 und 1806 lebten die Brüder Grimm in Marburg. Der Grimm-Dich-Pfad erinnert an sie und führt euch mit einem unaufgeregten Spaziergang durch die Stadt. Perfekt, um die Stimmung zu checken und Leute kennenzulernen. Auf dem Pfad begegnen euch Figuren aus den bekannten Märchen. So etwa im Weiher des alten Botanischen Gartens ein Fisch, der übers Wasser gleitet. Der Fischer und seine Frau lassen lieb grüssen.

Das ehemalige Klinikviertel

Und wenn ihr schon mal hier seid, könnt ihr euch auch das ehemalige Klinikviertel angucken. Dazu lauft ihr im alten Botanischen Garten am Kräutergarten vorbei…

… durch die krasse Bibliothek (Universitätsbibliothek Marburg, Deutschhausstrasse 9) aus Glas und Stahl, vor Kurzem erbaut und die umliegenden alten Häuser konsequent kontrastierend.

Heute grösstenteils zur Universität Marburg gehörend, seht ihr im ehemaligen Klinikviertel eine Vielzahl 20er-Jahre-Bauwerke, schnörkellos und klar.

Weiter auf dem Grimm-Dich-Pfad strecken euch 7 Geisslein und 1 Wolf ihre Köpfe aus einer Stadtmauer (Steinweg 12-19) entgegen.

Findet ihr alle Märchen-Anspielungen auf dem Weg hinauf zum Schloss? An manchen Stellen prangen Zitate an Wänden oder Stufen. Eins ist von Jacob Grimm und geht so: „Ich glaube, es sind mehr Treppen auf der Strasse als in den Häusern.“ Der alte Jacob hat recht. Überall Treppen. Bergauf, bergab.

Hinauf zum Schloss

Bergauf. Zum Schloss, dessen Besitzer so mannigfaltig wechselten, wie die Stile, in denen es erbaut wurde. Ursprünglich wohl aus dem 10. oder 11. Jahrhundert, erlebte es immer wieder Umbauten und Erweiterungen, und ist auch historisch von Bedeutung: Martin Luther und der Schweizerische Reformator Ulrich Zwingli diskutierten hier ihr Kirchen- und Glaubensverständnis, und verewigten ihre Ergebnisse als Marburger Religionsgespräch.

Was sonst? Wirklich, ihr interessiert euch für die Vögte, Könige, Kaiser und Vogelfreien, die sich hier die Klinke in die Hand gaben und wollt wissen, warum es Landgrafenschloss heisst? Na dann, ab ins Museum für Kulturgeschichte (Schloss 1) – direkt im Schloss. Führung durch die Kasematten und hinauf zum Hexenturm lohnt sich. Hexenturm? Genau!

Landgrafenschloss

Der Hexenturm in Marburg

Der pittoreske Turm (Gisonenweg) hinterm Schloss in nordöstlicher Richtung verrät erst mit seinem Namen seine frühere Verwendung: Hexenturm. Du kennst dich mit Heilkräutern aus? Turm! Du bist bei einem Mann in Ungnade gefallen? Turm! Du kannst schwimmen? Turm!

Diejenigen, die nicht im Hexenturm versauerten, wurden gehängt. Qualvoller war nur das Ertrinken in der teilnahmslos fliessenden Lahn. Dazu wurde frau in einen Korb gesteckt, der an einem Seil in den Fluss gelassen wurde. Woher ich diese makabren Details weiss? Erfahrt ihr alles im Hexenturm oder bei einer der vielen kleinen Führungen.

Weg zum Hexenturm

Ab in die E-Kirche

Und wieder bergab. In die, na ja, ihr wisst schon: Unterstadt. Das Must-see hier: Die E-Kirche. Gotteshaus mit Gitarrenperformance? Nein! Das „E“ steht für Elisabeth, irgendeine Herzogin, die heiliggesprochen wurde.

Obwohl wohlhabende Witwe irgendeines Ludwigs und alleinerziehende Mutter dreier Kinder, soll sie asketisch gelebt und sich um die Kranken und Ausgestossenen gekümmert haben – so jedenfalls die fakenews-lastigen Überlieferungen aus dem 13. Jahrhundert.

Die E-Kirche (Elisabethstrasse 3) ist ein wunderbarer Bau in Laufnähe zum Bahnhof. Frühgotisch, aus leuchtendem Sandstein, zwei spitze Türme. Alles, was das darbende Kunsthistoriker*innenherz begehrt. 1235 errichtet, ist die Elisabethkirche eine der ältesten reformierten Kirchen Deutschlands.

Drinnen, protestantische Nüchternheit über Relikten katholischen Grössenwahns. Kreuzförmiger Grundriss, Halle aus drei Schiffen, grosser dreigliedriger Chorbau, pompöser Hochaltar – beeindruckende Architektur, meisterhaftes Kunsthandwerk. Die Fenster hinter dem Altar sind von 1249. Durchschauen lohnt sich: Das Licht ist fast 800 Jahre alt.

Direkt neben der E-Kirche: Hospital samt Kapelle, 1228 durch Elisabeth erbaut. Als sie drei Jahre später verstarb und in der Kapelle beigesetzt wurde, entwickelte sich rasch ein Pilgerkult. Makabre Details ihrer Aufbahrung haben es bis in die Gegenwart geschafft: Fromme sollen von weit her gekommen sein, um der Barmherzigen die letzte Ehre zu erweisen. Dabei fand es einer der Besucher angemessen, ihr einen Finger abzuschneiden und mit nach Hause zu nehmen.

Wer der heiligen Elisabeth auch ohne Aussicht auf Grabschätze die letzte Ehre erweisen möchte, bestaunt ihren Schrein im nördlichen Kreuzarm der E-Kirche. Auch gleich nebenan: eine der ersten Hebammenschulen Europas – zwar nur für Männer, aber immerhin.

Das Südviertel

Und was ist mit dem Südviertel? Ah, stimmt. Vergessen. Ein Wohnviertel, südlich vom Schloss. Prachtvolle Gründerzeit-Villen an jeder Ecke. Der kleine Park beim Friedrichsplatz gibt an heissen Tagen rettenden Schatten und am Springbrunnen kann man eine erfrischend-knackige Abkühlung bekommen. Bestes Intermezzo, bevor die Treppentortur weitergeht.

Von hier kommt ihr über den Wilhelmsplatz von Süden auch auf den Schlossberg hoch, Verwunschene Hexenhäuschen und magische Gassen inklusive.

Auf dem Weg zum Schlossberg

Jetzt aber wieder nach oben, wo das Leben tobt, wo die Student*innen und Touristen sich tummeln. Was gibt’s hier? Mittelpunkt ist der Marktplatz. Vom schwedischen Restaurant Edlunds (Markt 15) hat man einen Blick über den Markt und kann zu jeder vollen Stunde den blechernen Hahn auf dem gegenüberliegenden Turm bei seinen Flugversuchen bestaunen. Das Edlunds übrigens, ein Restaurant, das weit über die Grenzen Marburgs für seine authentisch schwedische Küche bekannt ist.

Zanderfilet im Edlunds

Wem schwedisch zu sauer oder zu fischig ist, probiert es eben mit einem Auflauf. Die gibt’s hier an jeder Ecke. Üppig und nicht völlig ungesund. Perfekt für Studentinnen und Studenten mit grossem Hunger und kleinem Portemonnaie. Guter Ort für so einen Auflauf: Das Bistro Early in der Wettergasse 14. Pflichtbesuch!

Insgesamt gibt es diese Dinge, die man unbedingt erledigen sollte, wenn in Marburg. Z.B. unten, in der Unterstadt: Faul rumhängen an der Lahn oder den Lahntreppen. Coole Einheimische chillen hier am Fluss, trinken ihre Brausen, tauschen neuesten Tratsch aus den Hörsälen aus und geben sich wissenschaftlichen Diskursen hin.

Jetzt wieder bergauf: Wer in Marburg war und keinen Drink im Delirium (Steineg 3), genannt Deli, gehabt hat, war nicht in Marburg. Diese Studikneipe gibt’s gefühlt schon seit immer und der Rostige Nagel muss getrunken werden. Ein widerlich schmeckender Shot mit Ingwerschnaps und Tabasco.

Schräg gegenüber gibt’s eine urige Kneipe, in der ihr auch ruhigen Gewissens einkehren könnt, wenn euch das Saufgelage im Deli zu wild wird. Im Spock Absinth (Neustadt 25) gibt es fast immer noch ein Plätzchen an einem der Holztische, deren Platten von tausend Studentenhänden über viele Jahre hinweg mit nächtlichen Liebesbeteuerungen und Selbstverewigungen versehen wurden.

Oder sonst einfach rumhängen: An der Ecke Renthof/Wettergasse gibt es einen kleinen, unscheinbaren Platz mit immer coolen Leuten. Wann immer es mich nach Marburg verschlägt, mache ich hier Halt. Einfach mal stehenbleiben und quatschen. Vertraut mir, geht immer!

Genug rauf und runter. Jetzt geht’s ein bisschen raus: Ausserhalb der Stadt liegt ein Turm, den jede Marburgerin kennt: Kaiser-Wilhelm-Turm. Von hier gibt’s die beste Aussicht auf Schloss und E-Kirche.

Aberglaube in Marburg

Um den Spiegelslustturm, so nennen ihn die Einheimischen liebevoll, ranken sich viele Legenden. Eine hält sich besonders hartnäckig: Alle Studentinnen und Studenten raten dir aufs Entschiedenste von der Besteigung des Turms ab, solltest du deinen Abschluss oder dein Diplom noch nicht bestanden haben. Denn, so ist der Aberglaube, besteigst du den Turm vorher, so wirst du garantiert durchfallen. Also: Hin da. Aber nur, wenn du nicht oder nicht mehr studierst – oder nicht abergläubisch bist.

Auch witzig: Oben auf dem Turm hat es eine Lichtinstallation, die aus der Stadt und vom Schlossberg aus zu sehen ist und die durch die Wahl einer Telefonnummer romantisch verändert wird. Wie? Findet es selbst heraus!

Die Medizinstadt Marburg

Trivia fürs Ende: Marburg ist Medizinstadt. Die Deutsche Ärztevereinigung, genannt Marburger Bund, sitzt hier. Daneben gilt Marburg als Blindenhauptstadt Deutschlands. Vielerorts begegnen euch Gruppen von Sehbeeinträchtigten, öffentliche Schilder sind oft sogar in Braille-Schrift verfasst.

Spooky Berühmtheit unter Mediziner*innen erlangte Marburg wegen des Marburg-Virus, einer sehr seltenen, hochansteckenden, häufig letalen Krankheit, die in den 60ern zuerst in Marburg beobachtet wurde. Was euch dieses Wissen nützt? Keine Ahnung – vielleicht gut als Smalltalk-Anfang im Deli. Viel Spass in Marburg!

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