Digital Detox Country – die Lüneburger Heide
„Die Pferde habe ich auf Ebay gekauft, für 2500 Euro. Normalerweise kostet so ein Gespann 10‘000 Euro“, meint der Kutscher beiläufig. Ich bin platt – dachte ich doch bis vor einer Sekunde, so etwas wäre in Digital Detox Country Lüneburger Heide gar nicht möglich.
Die hübschen Pferde hat er bei Ebay gekauft…
In Digital Detox Country scheine ich nämlich zu sein. Seit etwa acht Stunden sind wir schon in der Lüneburger Heide unterwegs, zu Fuss, auf dem Velo und jetzt eben mit der Kutsche und fallen von einem Funkloch ins nächste. WiFi erwarte ich ja schon gar nirgends, aber nicht mal SMS gehen ins Ausland durch.
Wie soll ich da unseren Gipfelerfolg in die Schweiz vermelden? Schliesslich haben wir gerade den höchsten Berg Norddeutschlands bezwungen: 169 ganze Meter über Normalnull ist er hoch, der Wilseder Berg mitten in der Lüneburger Heide. Und jetzt kommt dieser Kutscher im gleichnamigen autofreien Dorf Wilsede mit Ebay…
In der Lüneburger Heide ticken alle anders
Hier in der flachen, sanft gewellten Heide scheinen alle ein wenig anders zu ticken. Sympathisch anders. Irgendwie logisch in einer Gegend, in denen Wörter wie „Heidschnucken“ und „entkusseln“ das Wichtigste zu sein scheinen. Die Schnucken, eine Art Schafe, die vom Mufflon abstammen, halten die wunderbar lila blühende Heide in Schuss, die mitsamt Fauna und Flora das Kapital der ganzen Region ist.
Zusätzlich müssen die Bewohner der Heide diese „entkusseln“, d.h. die jungen Bäumchen und Gräser zwischen den Heidepflanzen ausreissen, damit sie nicht überhand nehmen.
„Die Heide ist wie eine Therapie“, meinte am Vortag schon Schäfer Carl Wilhelm Kuhlmann (der Name ist Programm, man muss ihn nur richtig aussprechen: „Cool, man!“). Erst knapp über 50 ist er schon seit 24 Jahren täglich mit seinen 800 Schnucken (!) unterwegs.
Man glaubt es ihm aufs Wort, er wirkt mehr als zufrieden. „Komm, Lise, komm“, ruft er schlicht, wenn er mit den Tieren weiterziehen will. Und – schau an – alle Lises (alle Schnucken heissen nämlich gleich) gehorchen ihm aufs Wort und der ganze Tross setzt sich friedlich, leise blökend und umsorgt von seinen zwei Hütehunden in Bewegung und folgt ihm, wohin auch immer…
Zum Beispiel heim, wo seine Frau auf dem gewaltigen, Jahrhunderte alten Hof, neben der Hofarbeit Feste für Einheimische und Touristen ausrichtet, dafür sorgt, dass die Reparaturarbeiten am Reetdach richtig ausgeführt werden oder „Knipp“ kocht: pikant gewürztes Hackfleisch aus Heidschnucken- und Schweinefleisch.
In der Region Lüneburger Heide, die sich auf einer Fläche von Zürich-Bern hoch zwei im Norden Deutschlands erstreckt, leben alle vom Tourismus. Der Hoteldirektor des „Schäferhofs“ in der Nordheide z.B., der in aller Welt war, aber doch wieder in die Heimat zurückkehrte, sobald sich die Chance bot.
Kuchen von der Tortenmeisterin
Die jungen polnischen Studenten, die in der Saison mit Tabletts voll Kaffee und Kuchen hin- und herrasen, um während der Heideblüte die Heerscharen von Touristen zu bedienen. Oder die alteingesessene Familie Springhorn, die sich im kleinen Ort Müden, der „Perle der Südheide“, eine richtiggehende Goldgrube aufgebaut haben: das Café Ole Müllers Schün mit Ria Springhorns berühmten Torten.
Mehr als ein Jahr war Ria wöchentlich in einer TV-Backshow zu sehen und wurde 2013 „Norddeutsche Tortenmeisterin“. So etwas spricht sich rum. 50 Torten backt sie nun täglich mit nur zwei Helferinnen. Ab 2.30 Uhr morgens stehen sie in der Backstube, von 12-16 Uhr helfen sie im Café. „Ja, das ist hart. Ich möchte auch nicht mit mir tauschen!“, meint Ria Springhorn lakonisch.
Tortenmeisterin Ria Springhorn
Ach, die Kaffee-und-Kuchen-Tradition in Deutschland. Auch im Hotel Schäferhof wird in Sahne gerechnet. So präsentiert uns der Direktor stolz die Geräumigkeit seines Zweisitzer-Elektroautos mit den Worten: „Da passen locker noch 200 Kilo Sahne auf den Rücksitz.“
Das Elektroauto bietet Platz für einen Fahrer und 200 Liter Sahne
Sie sind halt ein bisschen anders die Leute hier in der Heide. Und scheinen kein bisschen genervt oder gehetzt, trotz langen Tagen und vielen Wochen Hochsaison, in denen gut fünf Millionen Touristen über die Heide ziehen.
Diese Zufriedenheit muss daran liegen, dass alles aussieht, als sei die Welt hier noch in Ordnung. Pure Idylle überall. Blüten, Stille, Einsamkeit – soweit die Sinne reichen. Dazu eben Digital Detox. Fertig ist die Therapiewirkung der Heide.
Dass Entspannen und Akku aufladen als Produkt gefragt ist, beweisen die Zahlen: Der umtriebige Geschäftsführer der Lüneburger Heide GmbH, Ulrich von dem Bruch, hat kürzlich „Akku-aufladen“, „Arrangements zum Abtauchen“ und „Ausschlaf-Hotels“ als touristische Produkte eingeführt.
Ohne eine einzige Werbeaktion dafür durchzuführen, verzeichneten die Angebote 12’000 Zugriffe in den ersten drei Monaten. Das Interesse ist definitiv vorhanden und die Lüneburger Heide wird auch abseits von Kaffee und Kuchen und Busgruppen eine Zukunft zu haben. Echt Kuhlmann, äh, cool, man! Ich gönne es der Region und ihren bewundernswerten Bewohnern von Herzen.
Weitere Informationen zur Lüneburger Heide
Lüneburger Heide wird die trockene, sanft gewellte Heide- und Waldlandschaft zwischen Hamburg, Bremen und Hannover genannt. Ein Teil davon wird im Naturpark Südheide und dem Naturpark Lüneburger Heide geschützt. Charakteristisch für die Landschaft sind die sandigen Böden und die lila blühenden Heidepflanzen. Absolute Hochsaison ist demnach auch zu deren Blütezeit im August/September (vom 8.8. bis 9.9. sagt man…).
Auf dem 220 km langen Heidschnuckenweg , der 2014 vom Wandermagazin als schönster Wanderweg Deutschlands ausgezeichnet wurde, kann man die schönsten Landschaften und insgesamt mehr als 30 grosse und kleine Heideflächen komplett durchwandern.
Lüneburg mit Giebel- und Fachwerkhäusern
Namensgeberin ist übrigens die wunderschöne Stadt Lüneburg. Die hübsche Studentenstadt mit ihren bezaubernden Fachwerkhäusern und der hohen Kneipendichte ist für sich schon einen Besuch wert.
Anreise:
Von der Schweiz aus erreicht man die Heide am besten mit dem Flugzeug über Hamburg, sie bietet sich aber auch für einen Zwischenstopp mit dem Auto auf der Durchreise gegen Norden an.
www.lueneburger-heide.de ist das offizielle Portal für Reisen in die Lüneburger Heide. Kurzentschlossene finden hier auch jeweils das Heide-Barometer oder jetzt aktuell das Herbstlaub-Barometer, das den aktuellen Stand der Verfärbungen zeigt.
Aber Achtung: Reisen in die Heide zur Hochsaison sollte man frühzeitig buchen, d.h. spätestens im Februar für den Sommer!
Übernachtung:
Ein guter Ausgangspunkt (auch für den Besuch bei der Tortenmeisterin gleich um die Ecke) ist Niemeyers Romantik Posthotel in Müden mit grossen, modernen Zimmern.
Die Eindrücke entstanden im Rahmen einer Pressereise der Lüneburger Heide GmbH, die auch einen Teil der Fotos zur Verfügung gestellt hat. Vielen Dank!
7 responses to Digital Detox Country – die Lüneburger Heide
Eine sehr schöne Darstellung. Wieviel Teilnehmer(innen) hatte die Pressereise? Schade, dass der Hinweis auf die Möglichkeit eines Abstechers zum wunderschönen „Hundertwasser-Bahnhof Uelzen“ und ein Bild davon fehlen.
Gruß aus Uelzen von Hansestadt zu Hansestadt
Herbert Blödorn
Danke für die netten Worte. Wir waren zu fünft in der Heide unterwegs. Ich weiss, die Gegend hat noch viel mehr zu bieten und leider konnten wir nicht alles berücksichtigen. Aber wir kommen sicher wieder! Gruss, Sabine Biedermann
ein sehr schöner Bericht mit tollen Fotos ! Für interessierte Touristen ist auch die Nähe zu Hamburg (die schönste Stadt der Welt) , die Kunststätte Bossard sowie die verschiedenen Tier- und Erlebnisparks empfehlenswert . (z.B. Wildpark Lüneburger Heide , Vogelpark Walsrode , Heidepark Soltau)
Gruß aus Kakenstorf
Lieber Herr Sägebarth, da haben Sie vollkommen Recht. Wir selbst haben auch einen Abstecher in den Serengeti Park gemacht und waren begeistert… Vielleicht werde ich auch das hier auf dem Blog noch einmal beschreiben. Gruss, Sabine Biedermann
Vielen Dank für die tollen Worte und Beschreibungen unserer Region. Richtig ansprechend sind die Fotos von den Ausflügen.
Vielleicht möchten Sie auch einmal die Südheide erkunden… Wir würden uns sehr freuen.. Viele Grüße aus dem Landkreis Celle
Danke für das Kompliment! Wir haben zum Glück Nord- und Südheide kurz kennen gelernt. Mich persönlich würde ja auch Celle selbst mal interessieren. Nächstes Mal… Gruss, Sabine Biedermann