Mit Zug und Schiff von Zürich zum Polarkreis
Aufmerksame Travelistas-Leser dürften vielleicht mitbekommen haben, dass ich kürzlich in den hohen Norden Europas reiste. Was ich allerdings noch nicht erwähnte: Ich war fast drei Tage lang unterwegs, bis ich dort ankam. Und nein, es hatte nichts mit mangelnden Flugverbindungen oder technischen Zwischenfällen zu tun. Manche halten mich zwar deswegen noch immer für verrückt, aber ich bin ganz bewusst so gereist – und habe jede Stunde dieser langen Anreise genossen!
Los geht es an einem Freitagabend mit der Deutschen Bahn, genauer gesagt mit dem CityNightLine, der mich in knapp 12 Stunden über Nacht von Zürich direkt ins Zentrum von Hamburg bringt. Fazit: Das Vierer-Liegeabteil für Frauen hält, was es verspricht und ist mit 90 Euro pro Bett (Sparpreis) auch relativ günstig.
Wer für kratzige Wolldecken wenig übrig hat, wertet sein fahrendes Bett mit einem edlen Seidenschlafsack etwas auf (sowieso ein sehr nützliches Reiseaccessoire und immer in meinem Gepäck dabei!). Mit mir im Abteil sind drei sympathische deutsche Frauen mittleren Alters. Ähnlich wie in einer Jugi kommt man rasch ins Gespräch und teilt miteinander Reisepläne und bisherige Zugerfahrungen.
Knapp ausreichend ausgeschlafen (der Zug fährt bereits um kurz nach acht Uhr im Hauptbahnhof ein) bleiben mir knapp 10 Stunden, um durch Hamburg zu spazieren und mir ein paar Viertel, Cafés und Sehenswürdigkeiten anzusehen, die mir unsere Sophie zuvor ans Herz gelegt hat. Das reicht natürlich niemals aus, um die Stadt richtig kennenzulernen. Dafür aber, um festzustellen, dass ich bald wieder kommen muss. Entspannen kann ich mich ja dann auf meinem nächsten Transportmittel.
Stopover in der Hansestadt – typisches Wetter inklusive
Gegen Abend nehme ich dann den Regionalzug nach Lübeck-Travemünde, von wo aus fast täglich unterschiedliche Ostsee-Fähren nach Skandinavien losfahren. So auch mein Schiff nach Helsinki, die „Finnmaid“ der Fährengesellschaft Finnlines. Die Schiffe nach Nordeuropa werden im Winter vor allem als Frachter genutzt, entsprechend sind viele Lastwagenfahrer/-innen an Bord und die Stimmung ist schon gegen Mittag feuchtfröhlich.
Ich treffe aber auch auf ein älteres norddeutsches Ehepaar, das die Skandinavien-Fähren immer mal wieder als „Mini-Kreuzfahrt“ nutzt und mit einem kurzen Städtetrip verbindet. „Finnmaid“ kann es auch locker mit einem Kreuzfahrtschiff aufnehmen: An Bord meines schwimmenden Zuhauses für 32 Stunden ist von Spielsalon über Duty-Free-Shop bis zu Fitnesscenter und Sauna mit Jacuzzi alles vorhanden.
Das kulinarische Angebot des Bord-Restaurants kann ich leider nicht testen: Irina, die extrem herzliche Russin, mit der ich die Kabine teile, versorgt mich von morgens bis abends mit mitgebrachtem Essen und Getränken. Einfach so (meine Versuche, sie als Gegenleistung in der Bar auf ein paar Drinks einzuladen, scheiterten mehrmals)! Mit 34 Euro ist das Buffet-Abendessen jedoch sehr kostspielig.
Die Sauna (mit Aussicht aufs Meer!) ist im Gegensatz zum kostspieligen Essen im Ticketpreis (210 Euro total für zwei Nächte in einer geteilten Kabine) inklusive. Wir sind ja schliesslich schon fast in Finnland, und da ist der Zugang zu einer Sauna fast schon ein Grundrecht.
Entspannen auf der „Finnmaid“
Zweimal schlafen und die Fähre legt am Hafen in Helsinki Vuosaari an, von wo aus man in ca. einer halben Stunde das Stadtzentrum erreicht. In Helsinki verweile ich insgesamt vier Tage, bevor es zum letzten Mal mit dem Zug noch weiter gen Norden geht. Und in was für einem Luxusgefährt! Die Kabinen im doppelstöckigen Nachtzug der finnischen Bahngesellschaft, sind mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet, die das Traveller-Herz begehrt: farbenfrohe, frisch duftende Bettwäsche, eine Steckdose an jedem Kopfende, gratis High-Speed-WIFI, Wasserfläschchen, Frottee-Handtuch und jeder Passagier erhält eine hotelähnliche Keycard zum Öffnen der Kabine, um den schlafenden Zimmergenossen nicht unnötig aufzuwecken.
In der Zugsmitte wartet ausserdem ein gemütliches, bis spät in die Nacht bedientes Bistro auf spannende Begegnungen mit anderen Passagieren. Dort wird am nächsten Morgen auch Frühstück serviert, das aber im Preis (120 Euro für ein Bett in einer Doppelkabine) nicht inklusive ist. Nach einem himmlisch tiefen Schlaf kommt der Zug schliesslich um 10.40 Uhr im verschneiten Rovaniemi am Polarkreis an, dem vorläufigen Ziel meiner Reise.
Nordisches Design auch im Nachzug von Helsinki nach Rovaniemi
Der Weg ist das Ziel
Wieso soll man nun auf den günstigeren Direktflug verzichten und solch eine lange, umständliche Anreise auf sich nehmen? In unserer schnelllebigen, auf Effizienz getrimmten Zeit geht es ja auch beim Reisen meistens darum, möglichst schnell per Flugzeug am gewünschten Zielort anzukommen, dort irgendein Ferienerlebnis zu konsumieren und dann innerhalb kürzester Zeit wieder zurück am Schreibtisch zu sitzen.
Die An- und Abreise ist meistens Mittel zum Zweck und austauschbar. Dabei gilt doch nicht nur beim Reisen: Wer sich ausschliesslich auf das Ziel fokussiert, dem werden all die schönen Dinge entgehen, die sich entlang des Weges befinden.
Und die Erlebnisse auf dem Land- und Wasserweg sind einfach unbezahlbar! Man nimmt die Distanzen bewusst war, erlebt, wie sich die Landschaft verändert und begegnet Menschen mit den interessantesten Geschichten. Oder seid ihr an einem Flughafen schon jemals mit einer interessanten Person ins Gespräch bekommen?
Mit Zug, Bus und Schiff zu reisen könnte aufregender nicht sein. Und selbst wenn auf der eingeplanten Route mal etwas nicht nach Plan läuft, man irgendwo auf der Strecke gewollt oder ungewollt hängenbleibt, so kann das die Reise ungemein bereichern. Das eigentliche Reiseziel erreicht man vielleicht dieses Mal nicht mehr, aber Ankommen tut man irgendwie trotzdem.
Die Musse zu haben, in meiner Heimatstadt mit meinen sieben Sachen in den Zug zu steigen und mich einer weit entfernten Destination Stück für Stück anzunähern, ist für mich das höchste aller Reisegefühle. So fühlt sich Glück und Freiheit an. Wahres Reisen eben!