Nickerchen gefällig?
Einfach einmal abschalten, den Alltag für ein paar Minuten abstreifen und Kräfte sammeln – und das mitten am Tag. Irina Ivachkovets zeigt in Berlin, wie es geht.
Jeder kennt das Phänomen – der Tiefpunkt, der einen nach dem Mittag oder gegen Nachmittag im Büro überfällt und den Wunsch weckt, sich einfach kurz langzumachen. Die Asiaten wissen wie es geht, aber schon häufig habe ich mich gefragt, warum es in unseren Breitengraden kaum bis gar keine Möglichkeiten und Angebote für Power-Napping gibt.
Bis vor kurzem – als ich geschäftlich in Kreuzberg unterwegs war und beim Vorbeilaufen auf den Laden von Irina stieß.
Nickerchen? Witziger Name dachte ich, öffnete neugierig die Tür des Geschäfts und trat sogleich in eine Wohlfühloase ein. Unweit des geschäftigen und von Touristen überlaufenen Checkpoint Charlie befindet sich in der Zimmerstraße 27 das Geschäft der gebürtigen Russin.
Tür zu, Alltag draußen. So fühlt es sich jedenfalls für mich an. Gemütlich eingerichtet mit ein paar ausgewählten Vintage-Möbeln, einer einladenden kleinen Tee-und Kaffeetheke sowie dem Dreh-und Angelpunkt, einem lila Sofa – Wohnzimmeratmosphäre pur. Weicher, flauschiger Teppichboden umschmeichelt die Füße, dezente Entspannungsmusik läuft im Hintergrund und es duftet nach Tee.
„Magst Du ein Tässchen?“, fragt Irina. Na aber sicher. Eine gute Gelegenheit ein wenig mehr über die Frau hinter der cleveren Geschäftsidee zu erfahren.
Irina selbst ist total entspannt, natürlich, herzlich und vermittelt einem sofort ein beruhigendes Gefühl. Ob das schon immer so war, will ich wissen. „Im Gegenteil, ich war früher festangestellte Projekt Managerin von großen Fachmessen, ständig in Singapur und Indien auf Geschäftsreisen unterwegs und immer wieder habe ich mir einen Platz zum kurzen Ausruhen gewünscht, aber es gab keinen“, erklärt Irina den Ursprung ihres Unternehmens, das aus einem eigenen Bedürfnis gewachsen ist.
Um diesem Wunsch nachzukommen, hat sie sich früher selbst die Yogamatte ins Büro gelegt und 2-3 Minuten Power-Napping gemacht, erzählt sie.
„Unsere Gesellschaft hat keine Räumlichkeiten für effektives Ausruhen vorgesehen“, sagt Irina und spricht mir damit aus der Seele. Dem wollte sie Abhilfe schaffen.
Und so entschied sich die 35-jährige, die Abschlüsse in Kulturwissenschaften, Russistik und BWL hat, ihren alten Job an den Nagel zu hängen. „Ich wollte einen Gegenpol in unserer stets funktionierenden Welt schaffen. Einen Ort zum Runterkommen“, sagt sie über ihr Unternehmen.
Erst seit 4. Dezember letzten Jahres hat sie ihr Geschäft geöffnet und bereut es keinen einzigen Tag. Auf die Beine gestellt hat sie das mit einem Förderkredit und viel Fleiß. „Anfangs kamen hauptsächlich Männer, die haben sich eher einmal rausgenommen in der Mittagspause ein Nickerchen zu machen, aber jetzt ist das Verhältnis recht ausgewogen“, lacht sie.
Einige kommen auch für eine Massage in der Pause. „Das ist eigentlich meine liebste Aufgabe, in dieser körperlichen Arbeit gehe ich auf“, sagt Irina, die sich zusätzlich zur Massagetherapeutin hat ausbilden lassen. Mittlerweile hat sie auch Kunden aus der Schweiz und Österreich, die auf einer Geschäftsreise immer bei ihr vorbeischauen.
Zusätzlich nutzt sie ihre Räume für verschiedene Yoga- und Rückenkurse sowie als Ausstellungsraum für Berliner Künstler. Und zwei Mal in der Woche gibt sie selbst Feierabend-Salsa nur für Frauen. Gleichzeitig bieten diese Abende Raum für Networking. Frauen aus allen beruflichen Branchen und Altersklassen treffen aufeinander und tauschen sich aus. Und wenn es die Zeit zulässt, begleitet sie die Yogakurse noch auf dem Klavier – denn auch das kann sie. 🙂
Power-Nap pur
Bevor es losgeht, erklärt mir Irina kurz noch, dass es wichtig ist, sich nicht zu „überschlafen“ bzw. in die Tiefschlafphase zu kommen. 20 bis 40 Minuten hingegen machen einen wieder leistungsfit. Deshalb verabredet Irina mit den Kunden auch jeweils die Dauer und weckt dann jeden einzelnen persönlich.
Ich wähle für den Anfang 20 Minuten und suche mir eine „Wolke“ aus. So heißen die durch semitransparente Vorhänge abgetrennten zehn Kabinen für den Power-Nap pur. Irina reicht mir Ohrenstöpsel und Schlafmaske, deckt mich zu und löscht das kleine Licht. Anfangs fällt es mir etwas schwer, die Geräusche auszublenden und die Gedanken schweifen zu lassen. Vor allem als noch eine andere „Wolke“ besetzt wird und die Person sich unruhig auf der orthopädischen Liege wälzt.
Doch als mich Irina nach 20 Minuten sanft am Bein berührt, merke ich es erst gar nicht. Ich war wirklich weg, habe aber dennoch die Außenwelt gedämpft wahrgenommen. Einen Augenblick brauche ich, um zu mir zu kommen, aber dann fühle ich mich in der Tat entspannt und revitalisiert.
Für einen Power-Nap kann man einfach ab 11.31 Uhr vorbeikommen, einen Termin braucht man (noch) nicht. Gut zu wissen: Die Stoßzeiten sind von 13.00 bis 16.00 Uhr und von 17.00-18.00 Uhr. Manch einer kommt auch noch später, weil er für den Rest des Abends fit sein und vorher noch einmal Energie tanken möchte.
Einige kommen auch nach der Arbeit vorbei, damit sie überhaupt den Weg nach Hause schaffen, erklärt sie mir. Für Massagen empfiehlt sich hingegen ein vorheriger Termin.
Mittlerweile hat Irina hauptsächlich Stammkunden, die eine 10er-Karte nutzen. Oder aber interessierte Passanten und gerade im Sommer natürlich auch viele Touristen. Wer also in Berlin ist, unbedingt ausprobieren. 20 Minuten kosten 5 Euro, 30 Minuten 7 Euro. Schade, dass Irina noch nicht expandiert hat, aber was nicht ist, kann ja noch werden.
„Die Verwandlung der Menschen zu sehen, wenn sie den Laden gestresst betreten und später gelöst verlassen – das ist das tollste an meinem Job“, schwärmt Irina. „Und ich habe den entspanntesten Arbeitsplatz der Welt“. Dann drückt sie mich noch herzlich zum Abschied und ich entschwinde wieder in die Realität.
Weitere Informationen unter nickerchen-berlin.de.
One response to Nickerchen gefällig?
Danke für den tollen Artikel über den Mittagschlaf bzw. Power Nap. Ich bin ebenfalls ein Nutzer von Power Napping denn man ist viel effektiver danach. Für mich ist das Nickerchen am Mittag zu einem Muss geworden.