Tallinn: KGB, Design und Historie (Teil 1)
Sowjetcharme, aber auch die Tradition und Geschichte der Zeit, als Estland Teil des russischen Zarenreichs war – all das spürt man überall auf Schritt und Tritt, wenn man in der Hauptstadt Estlands unterwegs ist. Die, von der UNESCO geschützte, Altstadt lockt mit ihren mittelalterlichen Gebäuden, Kopfsteinpflastern und der dicken Stadtmauer – die allein schon Sightseeing ist – zum Flanieren und Entdecken. Hier treffen hanseatische Architektur und mittelalterliche Atmosphäre aufeinander.
Kadriorg: Palastgärten und estnische Häckelware
Einen halben Tag kann man gut in Kadriorg (historischer deutscher Name Catherinenthal) verbringen. In dem nordöstlichen Bezirk Tallins befindet sich auch ein großzügiger Park, der die Sommerresidenz Peter des Groβen beheimatet. Der Zar gab im Sommer 1718 den Auftrag ein Barockschloss für Katharina I. und ein Parkensemble als Tallinner Sommerresidenz anzulegen. Trotz Schloss und Park war Kadriorg im 19. Jahrhundert noch eine Vorstadt Tallinns, in der eher die Unterschicht lebte. Um die Anlage herum wurden Gebäude für die Bauarbeiter und später auch für Bedienstete errichtet. Da die meisten Bewohner der Siedlung Russen waren, wurden auch die Gebäude im Stil eines russischen Dorfes erbaut. Erst nach und nach entdeckten Tallinner Ausflügler die Strände an der Ostsee. Ein mondänes Seebad entstand, Salons und Bürgerhäuser wurden errichtet. Um 1832 war der Aufstieg Kadriorgs zu einer feineren Gegend dann endgültig geschafft – spätestens als drei Töchter des Zaren Nikolaus I. den Sommer in Kadriorg verbrachten. In der Folge hielten sich immer wieder Mitglieder der Zarenfamilie über die Sommermonate dort auf. Heute gilt der Stadtteil als bevorzugte Wohngegend mit zahlreichen aufwändig renovierten Holz- und Steinhäusern des 19. und 20. Jahrhunderts, die sehr schön und so ganz anders als die übrige Architektur der Stadt sind. Eine wirklich schöne Gegend und toll zum Spazieren und Entspannen in der Stadt. Wer Lust auf Kultur hat: Im Schloss selbst befindet sich heute das estnische Museum für ausländische Kunst und im ehemaligen Wohnhaus Zar Peters I. ist ein Museum eingerichtet, das seinem Leben gewidmet ist.
Ein wenig versteckt liegt der Laden NGO Omaabi – schon fast ein kleines Abenteuer bis man ihn endlich findet, aber eines, das es sich lohnt zu bestreiten. Bei den alten Damen findet man noch echte estnische Handarbeit. Eesti Käsitöö wird diese genannt, die weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt ist – und das zu Recht. Besser die Touristen-Abzocke der Altstadt meiden und mit der Tram Nr. 3 bis Weizenbergi fahren und in Köleri Nr. 8 / Vesivärana 7 Handschuhe, Mützen, Hausschuhe oder auch Holzbesteck erwerben. Der versteckte Laden im Keller ist wochentags von 10-17 Uhr geöffnet. Die liebenswerten alten Damen sprechen sogar ein wenig englisch und falls nicht – die Verständigung funktioniert auch so ganz wunderbar.
In unmittelbarer Nähe steht auch der moderne Neubau des Eesti Kunstimuuseum (KUMU), der, neben Wechselausstellungen, die umfangreichste Sammlung baltischer Kunst seit dem 18. Jahrhundert beherbergt. Ein eigener Bereich ist dem Sozialistischen Realismus während der sowjetischen Besetzung Estlands von 1940 bis 1991 und non-konformistischer sowjetischer Kunst gewidmet – sehr spannend. Allein wegen der Architektur des Gebäudes lohnt der Besuch und das asketische Interieur ist ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel zwischen Architektur und Möbeldesign. Im dazugehörenden Café kann man sich mit leckeren Suppen oder Kuchen für die nächste Erkundungstour stärken.
Das Rotermanni-Viertel
Ist ein besonderer Ort im Zentrum Tallins. Diverse historische Industriegebäude und moderne Architektur vereinen viele interessante Unternehmen der estnischen Designszene zwischen dem Viru-Center und dem Hafen. Dort findet man zum Beispiel so spannende Geschäfte wie Reede und 2.mood. Die Auswahl reicht von Designerateliers bis zu Bershka. Aber am besten spaziert man dort in der Gegend einfach umher und lässt sich ein wenig treiben. Für einen kulinarischen Zwischenstopp kann ich das SfääR empfehlen. Halb Shop, halb Restaurant fühlt man sich dort gleich sehr heimelig und die Snacks sind ebenfalls lecker. Das Restaurant hat sich auf regionale und saisonale Produkte eingestellt. Im Laden findet man neben bekannten Marken auch Schöpfungen estnischer Designer.
Meet the designer
Die Embassy of Fashion ist ein Traum für jeden, der auf Couture steht. Hier haben sich die Designer Aldo Järvsoo, Riina Poldroos, Ketlin Bachmann und Schmuckdesigner Tanel Veenre in einem wunderschönen Altbau zusammengefunden. Nach Anmeldung kann man die Designer im Atelier besuchen, die Kreationen anprobieren und auch sogleich käuflich erwerben – gefährlich für das Portemonnaie sage ich nur …
Die Viru-Währung
Im Sokos Hotel Viru, das mit seinen über 74 Metern der erste Wolkenkratzer Tallinns war, befindet sich heute auch das KGB Museum. Das Gebäude wurde 1972 von finnischen Firmen gebaut und diente fast 20 Jahre lang als sogenanntes Interhotel. Im Hotel waren vornehmlich Gäste aus dem nicht-sozialistischen Ausland untergebracht, insbesondere finnische Touristen, aber auch prominente Übernachtungsgäste wie der persische Schah Mohammad Reza Pahlavi mit seiner Gattin, Neil Armstrong oder Hollywood-Diva Elizabeth Taylor. Bei der Führung erfährt man spannende Dinge: Unter anderem, dass im Hotel zwei Welten parallel existierten: Die heile Welt des Sozialismus und die echte Welt, die viel vielschichtiger und komplexer war und in der die Menschen die „Viru-Währung“ haben wollten. Wer hier arbeitete, hatte quasi den Jackpot geknackt. Denn die Angestellten profitierten von ausländischen Waren der Gäste, die sie dann wiederum „draußen“ verkaufen konnten. Von der Zeit als Interhotel zeugen auch noch die Abhöranlagen, die der KGB im Hotel installiert hatte. Dadurch konnten zahlreiche Zimmer akustisch und visuell überwacht werden. Sogar in den Tellern waren Abhörwanzen versteckt und in jedem Gang gab es sogenannte „Aufpasser-Damen“. Diese mussten verheiratet sein und ein gewisses Alter haben, so dass sie nicht durch die Avancen diverser männlicher Gäste bestechlich waren. Die außer Betrieb gesetzte Überwachungszentrale des sowjetischen Geheimdienstes ist heute noch im 23. Stock des Hotels zu besichtigen. Dort durfte keiner der Angestellten hin – der oberste Stock war Sperrzone. Noch bis 1980 war das Viru das einzige Hotel Tallinns mit internationalem Standard. Wer einen kleinen Einblick in diese Zeit erhaschen möchte, dem kann ich die einstündige Führung nur empfehlen. Kostenpunkt: rund 9 Euro. Ach ja, übernachten kann man dort heute übrigens immer noch …
Was man noch so in Tallinn machen kann, lest ihr beim nächsten Mal.
2 responses to Tallinn: KGB, Design und Historie (Teil 1)
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