Tipps für wandergeschädigte Stadtkinder

Tipps für wandergeschädigte Stadtkinder

Bin ich nun alt und spiessig, weil ich plötzlich gerne wandere? Mit dieser Frage sah ich mich in den letzten Jahren öfters konfrontiert, als ich einigen Zeitgenossen mein neues Hobby zu erklären versuchte. Was ist mit der (ehemaligen) Stadt-Tussi passiert, die nun den ganzen Sommer lang den Wetterbericht studiert, aber nicht etwa, um einen faulen Tag am See zu planen, sondern um die Schweiz zu erwandern?

Nicht dass die Aktivität an sich in irgendeiner Form neu gewesen wäre: Als Kind gab es nichts Aufregenderes, als mit der Familie wandern zu gehen. Einige dieser Eindrücke habe ich bis heute noch vor Augen. Dann kamen aber die schwierigen Teenager-Jahre und erzwungene Wanderungen mit den Eltern wurden plötzlich das Nervigste und Uncoolste auf der Welt.

Und diese Erfahrung muss wohl bei den meisten von uns in der Jugend ein Trauma verursacht haben, sodass wir mindestens 10 bis 15 Jahre lang nichts mehr zu diesem Thema hören wollten.

SAC_Cadlimo_Hütte_TIEine Begegnung der besonderen Art bei der SAC Cadlimo-Hütte im Tessin

Klar gingen viele von uns schon zu Beginn der Zwanziger Backpacken in ferne Länder (mich eingeschlossen), trugen ein paar outdoortaugliche Accessoires aus dem Transa (ja, den gab es schon bevor am HB die Europaallee gebaut wurde) und liefen damit auch ein paar Kilometer durch den Dschungel. Das Wandern an sich fühlte sich aber für mich noch nicht gleich an wie heute.

Es ging damals mehr ums Reisen in exotische Länder, die möglichst anders waren als man es von zu Hause kannte. Wandern als grosses Ganzes hatte noch keine Bedeutung und das Schweizer Wandergebiet blieb in meinen Augen lange Zeit noch immer ein Terrain für Spiessbürger, Pensionierte und öde Familien vom Lande.

Vielleicht ist es das ja teilweise heute noch, aber der Unterschied zu früher (und vielleicht ja ein generelles Zeichen einer ersten Altersweisheit): es ist mir egal!

Sustenpass_URAuf dem Weg zum Sustenpass im Kanton Uri

Der Sinneswandel kam ziemlich plötzlich mit Erreichen meines 27. Lebensjahres. Mir kam eines Tages beim Besuch in der Ferienwohnung meiner Eltern in Graubünden eine nahegelegene Route in den Sinn, von der mir mein Vater als Kind immer erzählte, aber die wir nie zusammen gemacht haben.

Und plötzlich packte mich die Lust, diese abgelegene Alp auf der gegenüberliegenden Bergseite, die nur zu Fuss erreichbar ist, mit eigenen Augen zu sehen. Es fühlte sich an wie die Erfüllung eines lange gehegten Kindertraums.

Diese Wanderung mit meinem Vater hat mich irgendwie verändert. Ich fragte mich, warum ich nicht schon viel früher losgezogen bin um all die Fleckchen zu sehen, von denen man irgendwie mal gehört hat. Seither werden es jedes Jahr mehr, längere und schwierigere Touren. Die Wanderlust an sich hat inzwischen nicht mehr nur mit Fernweh und allgemeinem Reisefieber zu tun.

Ich würde sogar sagen, dass es nicht mal nur um die Natur und die schöne Landschaft allein geht, das wäre ja auch mit einer simplen Fahrt ins Grüne getan.

Flüelen_UROberhalb von Flüelen (Uri)

Beim Wandern geht es um viel mehr: Zu Fuss bewusst eine Distanz zurücklegen, die Veränderung der Landschaft wahrnehmen, an seine körperlichen Grenzen gehen, zurück zur Natur und zu sich selbst finden. Dieses Erlebnis befreit und macht süchtig, egal ob man nun vor der Haustür einfach mal drauf los läuft oder zuvor zum Mount Everest fliegen muss.

Hier einige Tipps für Wander-Anfänger (oder Wiedereinsteiger) in der Schweiz:

Routenplanung:

Stetig steigern – für den Anfang tut es auch eine zwei- bis dreistündige Tour. Wenn immer möglich ersteige ich Berge und Hügel, die nicht oder nur dürftig von einer Bergbahn erschlossen sind und fahre dann mit dem öffentlichen Verkehr möglichst hoch hinauf. Nachteil: Auf dem Gipfel gibt es keine Verpflegungsmöglichkeit und man muss Wasser und Proviant in grösseren Mengen mitnehmen. Die Vorteile: Man spart Geld, umgeht die grossen Touristenmassen und kann – einmal oben angekommen – mit grösstmöglichem Stolz ins Tal hinunterblicken.

Den Berg hoch zu wandern ist zwar konditionell anstrengender, aber um ein vielfaches angenehmer, was den Muskelkater am nächsten Tag betrifft. Wenn also irgendwie möglich, lieber hochgehen und runter fahren.

Bockmattli_SZDer Aufstieg auf den Bockmattli (SZ/GL) wird mit dieser Aussicht belohnt

Für Tipps zu konkreten Routen fragt man am besten die Wandervögel im Freundeskreis um Rat. Wer nur wanderfaule Freunde hat, findet unter folgenden Links Inspiration:

wanderland.ch
Sehr praktische App mit Ortungsfunktion. Auf den bekanntesten Routen herrscht bei idealen Wetterbedingungen jedoch oft reger Betrieb

hikr.org
Etwas unübersichtlicher, dafür mit vielen Insider-Tipps von über 100 Community-Mitgliedern.

wandern.ch
Die Wanderprofis der Schweizer Wanderwege haben über 500 Wanderungen rekognosziert. Die ersten dreissig Tage ist der Zugang kostenlos.

Ausrüstung:

Trekking-Schuhe mit Profil sowie eine wind- und regendichte Jacke tun‘s für den Anfang. Es wird dann automatisch jede Saison etwas mehr, denn fängt man mal mit dem Kauf von Outdoor-Ausrüstung an, besteht grosse Suchtgefahr. Womit man mich aber sicher bis zur Pensionierung nie sehen wird, ist mit Wanderstöcken. Mögen sie noch so viele Vorteile haben, sie sehen einfach bescheuert aus! 🙂

Proviant und Packtipps:

Das Highlight einer jeden Wanderung ist das Picknick unterwegs – wird bei mir richtig zelebriert und findet darum auf jeder Wanderung mehrmals statt. Damit der Proviant möglichst lange kühl bleibt, lege ich das Brot am Vorabend ins Gefrierfach und packe es gefroren ein. Bis dann der Mittagsrast ansteht, ist es verzehrbereit und hat in der Zwischenzeit die restlichen Lebensmittel und Getränke kühl gehalten.

Val Canara_TIBei der verdienten Mittagsrast im Val Canara (Tessin)

Einkehren:

Lauffaulere Begleiter motiviert man am besten mit der Aussicht auf ein erfrischendes Bier oder kühles Gläschen Wein (das man sich zuerst körperlich verdienen muss!). Der Guide Bierwandern Schweiz enthält tolle Routenvorschläge, die zusätzlich zum Wanderspass auch noch zur Entdeckung unzähliger Biersorten von lokalen, unabhängigen Brauereien einlädt.

Val Canario_TIVielerorts liegt selbst im Juli noch Schnee

Gefahren:

Anfängern ist definitiv von Bergtouren bis Anfang Juli (bis dann liegt meistens noch Schnee) sowie generell Wanderungen bei unsicherer Wetterlage abzuraten. Trotz App mit Ortungsfunktion ist physisches Kartenmaterial (lässt sich auch aus dem Internet ziehen) unabdingbar.

SAC Sustlihütte URDie Sustlihütte im Kanton Uri

Hüttenzauber:

Zu den höchsten aller Wander-Gefühlen gehört für mich die Übernachtung in einer Berghütte. Beim Komfort macht man meistens ein paar Abstriche (Gruppenzimmer, Gemeinschafts-WC, keine Duschen!), wird dafür mit Abenteuer-Feeling und bezauberndem Sonnenaufgang entschädigt.

www.sac-cas.ch

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