Von den Schwierigkeiten, zu meiner Traum-Nacht zu kommen
Wer gerne reist – und ich nehme an, dass dies bei den Lesern dieses Blogs auch so ist – weiss: auf einer längeren Reise gibt es hektische und laute Zeiten – im Grossstadtgewimmel und auf dem Airport oder am Busterminal.
Es gibt aber auch beschauliche und ruhige Zeiten – am einsamen Aussichtspunkt hoch über dem Meer etwa, auf dem Höhenweg in den wilden Bergen, oder im blühenden Garten des Hotel-Innenhofes. Und es gibt Zeiten, da läuft es rund, und Zeiten, da klemmt und harzt es. Doch: mit diesen Schwierigkeiten zurecht zu kommen – auch das macht das Erlebnis Reisen aus.
Wer mich oder die Titel meiner Bücher kennt, weiss: ich bin eindeutig der Mensch für das Stille. Zu viele Tage in der Grossstadt oder zu viele Stunden in der Shopping Mall sind, wie soll ich es sagen, schlicht nicht gut für mich. Eine Dosis: ja, cool. Mehr – eher nicht, bitte…
Also, eigentlich wollte ich von der vielleicht schönsten und speziellsten Nacht auf meiner 5-wöchigen Südamerika-Reise erzählen. Aber auch bei dieser Geschichte geht es schlussendlich um Hektik und Stille. Ich war mit meiner Freundin Barbara unterwegs – sie war schon einige Monate in Kolumbien im Einsatz, für Peace Watch, eine Friedens-Organisation, und auch schon zwei Monate als Rucksack-Reisende.
Persönlich hatte ich eine sehr strenge Zeit hinter mir, und als Wander- und Trekking-Aficionado wünschte ich mir nichts sehnlicher, als tagelang draussen in der Natur und den Bergen und der Wüste und im Urwald unterwegs zu sein. Wie sich aber bald herausstellte, ist das in gewissen Regionen in Südamerika nicht so einfach wie in der Schweiz mit ihren 80’000 perfekt ausgeschilderten Wanderweg-Kilometern.
Hier hat’s mit dem Wandern geklappt. Bei Coroico im boliviansichen Bergregenwald
Statt in der weltberühmten Salar de Uyuni, einer der landschaftlichen Highlights in Bolivien, also trekken und zelten zu gehen, endeten wir in einer Tour von der Stange, ein Trip, wie ihn alle Guides praktisch identisch anbieten: drei Tage mit dem Jeep durch die Landschaft fahren. Ja, die Landschaft war sensationell, aber auch, ja, wir waren eingepfercht in dieser rollenden Blechdose. Viele tolle Fotos schlussendlich, wenig Erlebnis, eine gewisse Dosis Frust.
So freuten wir uns umso mehr auf San Pedro de Atacama im äussersten Nordosten Chiles. „Das Outdoor-Paradies“ wurde es im Reiseführer gelobt, für Trekker und Mountain Biker und… Da sollte doch eine richtige Mehrtages-Wanderung möglich sein.
Das Outdoor-Mekka San Pedro de Atacama
Klar ist dies möglich – doch in der trockensten Wüste der Erde, ohne Erfahrung hier, ohne gute Karten… Tja, so klapperten wir einige der vielen Trekkingbüros ab – und stiessen bei allen auf das identische Angebot: eine Bustour ins Valle de la Luna, Quad-Trips, Standard-Busfahrten zum Geysir. Nein, individuell geht das nicht, nein, dort hat’s kein Wasser, nein, Wege gibt es hier nicht, nein. Noch eine kleine Dosis Frust.
Schilderwald bei San Pedro de Atacama
Schlussendlich nahmen wir unser Schicksal respektive unseren Rucksack selber in die Hand. Zelt, Schlafsack und Matte rein, etwas Essen – und viel Wasser im Container.
Der Plan: Wir lassen uns an den Rand der Ortschaft fahren, dann laufen wir auf einen Berg und verbringen dort die Nacht. Ganz einfach. Klingt nicht spektakulär, aber probieren wir’s doch einfach.
Der Aufstieg dauerte nicht lange, über das fast ausgetrocknete Flussbett des San Pedro, über eine offene Wasserrinne, (in der Atacama!! Ist dies das wertvollste Wasser auf diesem Planeten?) dann einen gerölligen Berghang hoch.
Mit viel Wasser geht es auf den Berg
Das Zelt war schnell aufgestellt. Und dann: Hatten wir Zeit – viel Zeit, um diese Landschaft wirklich zu sehen. Unter uns: das Wüstennest San Pedro. Um uns herum: die Mesas und Klippen und Barrancas und Salars der Atacama, felsig, schroff und ausgetrocknet.
Auf dem Hügel gegenüber: Pucarà de Quitor, die Ruinen einer 700-jährigen Wohn- und Fluchtburg der Likan Antai. Und im Osten: eine lange Reihe beinahe 6000 Meter hoher Vulkane, der Sairécabur, der Licancabur, der Lascar. Das Ganze ein ziemlicher Wow-Anblick.
Das sind wir zwei, Barbara und ich, vor dem Vulkan Licancabur
Wir sassen einfach da, sprachen wenig, schauten einfach. Langsam stieg das Abendrot die Vulkankegel hoch. Die Dunkelheit kommt schnell hier, am Abend, und auch die Kühle.
Kaum hatte sich das Dunkel des Nachthimmels über die Vulkane gesenkt, wurde es jedoch wieder heller dort: der Vollmond stieg auf, direkt über den Vulkanen! Nun: in solch überwältigenden Augenblicken spüre ich jeweils ziemlich verlässlich, dass solche Erlebnisse die Höhepunkte einer Reise sind, dass sie besonders tief in die Erinnerung gehen. Dann sitze ich gerne einfach da und tue – nichts. Nicht als sehen und erleben und geniessen – und auch dankbar sein dafür. Dankbar, dass ich gesund bin und hier sein darf und dieses planetarische Schauspiel miterleben darf.
Ein bisschen komme ich dann aber auch in Konflikt. Meine Seele sagt: einfach sehen und staunen, und mein innerer Fotograf sagt: mach Bilder, am besten ganz viele. Auch ein Panorama. Und ein Video, bitte! Ich entschied mich für einen Minimal-Kompromiss: ein paar (identische) Bilder mit verschiedenen Belichtungen, auf dem Stativ, und dann Basta.
Vollmond über dem Licancabur
Natürlich möchte ich Euch dieses Bild nicht vorenthalten. Nein, es ist nicht scharf. Und ja, es rauscht mächtig in den dunklen Partien. Doch später bemerkte ich: genau dies hält das Flüchtige und beinahe Metaphysische dieses Augenblicks am besten fest.
Unser kleines 1000-Sterne-Hotel für eine Nacht
Nun, dieser Blog ist kein Lobeslied auf die unscharfe Fotografie. Er steht für mich dafür, dass man auf Reisen auch ganz nahe an der Hektik und Geschäftigkeit, mit ein bisschen Mut und Neugier, die wunderschönsten Erlebnisse haben kann.
Nicht die Erlebnisse, die man bereits im Reiseführer und im Flyer zig-fach gesehen hat, sondern die Erlebnisse, denen man einfach Raum und Zeit gibt, damit sie die Möglichkeit haben, zu uns zu kommen und zu berühren.
Solch „planetarisch“ schöne Zeltplätzchen vergisst man nie
Und zum Schluss möchte ich Euch noch etwas zeigen. Denn ich habe noch etwas gelernt in diesem San Pedro de Atacama: hier hat man Zeit. Auch bei der Arbeit. Und wenn man keine Arbeit hat, so geniesst man einfach die freie Zeit. Etwa beim Coiffeur in der Hauptgasse, der nach dem Schnitt an meinem Haupt mal keine Kunden mehr hatte – und uns darum spontan ein Lied sang. Geniesst es – und freut euch auf die nächste Reise!
Der etwas andere Coiffeurbesuch in San Pedro de Atacama
Der Wanderexperte Heinz Staffelbach in San Pedro de Atacama (Chile) etwas gelernt: hier hat man noch Zeit. Auch bei der Arbeit. Und wenn man keine Arbeit hat, so geniesst man einfach die freie Zeit. Etwa beim Coiffeur in der Hauptgasse, der nach dem Schnitt an Heinz Staffelbachs Haupt mal keine Kunden mehr hatte – und darum spontan ein Lied vorspielte.
Ein Abschieds-Ständchen vom Coiffeur in San Pedro
Das Wichtigste, damit Ihr gleich loslegen könnt:
Hinkommen: Busverbindungen durch verschiedene Firmen von / nach Santiago de Chile, Uyuni (Bolivien) und Salta (Argentinien). Nächstgelegener Flughafen (mit Bus erreichbar): Calama, etwa 100 km von San Pedro de Atacama. Mit dem Mietauto aus Chile oder Argentinien.
Hotel-Tipp: Es gibt eine ganze Reihe guter Hotels und Hostels in San Pedro. Wir verbrachten einige Nächte im Takha Takha Hotel, mit schönem, begrümtem Innenhof mit Pool und auch einigen Zeltplätzen unter grossen Bäumen.
Essen: Wir haben zwei Mal im Restaurant Adobe gegessen – gutes Essen und schöner Innenhof.
Basics für die Zeltnacht in der Wüste: Zelt, Matte, Schlafsack, Essen und Wasser für Abend- und Morgenessen.
Tourismus-Infos: www.sanpedroatacama.com
Reiseanbieter: Zahlreiche deutschsprachige Reiseanbieter bieten in Chile geführte Touren an. So beispielsweise Hauser Exkursionen (Deutschland), Baumeler Reisen (Schweiz) oder ASI Reisen (Österreich und Deutschland).
Der „Zeltplatz“ von Heinz Staffelbach:
4 responses to Von den Schwierigkeiten, zu meiner Traum-Nacht zu kommen
Danke für den spannenden Bericht – ich freu mich schon so auf meine baldige Südamerika-Reise. 🙂
Ja, dann wünsche ich natürlich alles Gute. Und auch viel Mut, mal unter dem Sternenhimmel zu schlafen. Oder für andere kleine Abenteuer… LH Heinz Staffelbach
super!
wann seid ihr gereist? wir planen den august in Nordchile zu verbringen und haben uns immer noch nicht entscheiden können zwischen normalem 4×4 oder 4×4 camper. Die tiefen Temperaturen im Südwinter sind unsere Sorge. Wie würdest du reisen?
herzliche Grüsse Johanna
Liebe Johanna,
Wir waren im März dort, mit angenehmen Temperaturen. Ich habe leider keine Erfahrungen zum Winter, würde aber einfach mal eine Klimatabelle anschauen.
Herzlichen Gruss
Heinz